„Mehrkosten. Mehr Hilfe!“ Angesichts der massiven Teuerungswelle fordert die Caritas ein armutsfestes Sozialnetz.
Caritas-Präsident Michael Landau und Caritas-Generalsekretärin Anna Parr zeichnen anlässlich ihres Besuches im steirischen Caritas-Sozialzentrum Marianum ein besorgniserregendes Bild: „Die Not in Österreich nimmt zu. Rekordinflation und Teuerungswelle treffen viel zu viele Menschen bis ins Mark. Viel zu viele Menschen müssen sich entscheiden: Eine vernünftige Mahlzeit oder ein halbwegs warmes Wohnzimmer? Frieren oder verschulden? Sie wissen nicht, wie sie über den Winter kommen sollen“.
Die Teuerungswelle flaut nicht ab. Eine halbe Million Menschen in Österreich kann sich nicht mehr angemessen ernähren. Mehr als jeder dritte Haushalt kann seine durchschnittlichen Konsumausgaben nicht mehr decken.
Landau: „Der Fiskalrat spricht von einer Gefährdung für das gesamte unterste Einkommensdrittel. Damit dringt Armut und Armutsgefährdung bis in die Mitte unserer Gesellschaft vor. Betroffen sind auch immer mehr arbeitende Menschen, die bisher gut alleine zurechtgekommen sind und niemals gedacht hätten, je auf Hilfe angewiesen zu sein.“
„Für uns ist klar, wo es massive Mehrkosten gibt, wo die Gefahr der Armut steigt, braucht es auch mehr Hilfe! Da sind wir als Hilfseinrichtung gefordert, da ist die Politik in Bund und Ländern gefordert in Richtung eines armutsfesten Sozialnetzes und da ist jede und jeder einzelne gefordert, sich solidarisch zu zeigen, zu helfen“, so Landau weiter.
Hilfen der Politik wichtig, aber unzureichend im Kampf gegen Armut
Die Bundesregierung hat Etliches gegen die Teuerung auf den Weg gebracht –Einmalzahlungen, Teuerungsausgleiche, die ab Anfang 2023 geplanten Valorisierungen. Dafür danken Landau und Parr ausdrücklich, aber „gleichzeitig müssen wir betonen: Die Maßnahmen reichen aktuell nicht aus. Die Hilfen sind angesichts dieser Teuerungswelle bereits nach ein paar Monaten aufgebraucht. Die Hilfen schaffen es nicht eine Armutsbetroffene aus dem Teufelskreis der Armut zu befreien. Und sie helfen auch nicht, die Armutsgefährdung in Österreich zu bremsen. Hier braucht es noch heuer zusätzliche Hilfen.“
Armutssituation von Klient*innen verschlechtert sich trotz Hilfen weiter
Das zeigen auch Berechnungen für Caritas-Klient*innen, deren aktuelle Einnahmen und Ausgaben gegenübergestellt wurden. Etwa bei der Mindestpensionistin Frau S. mit einem monatlichen Einkommen von knapp über 1.000 Euro. Bisher blieben ihr 14 Euro pro Tag an frei verfügbarem Einkommen, nun schlägt die Teuerungswelle bei jeder Rechnung zu, zusätzlich die Energie-Nachzahlung. Die Soforthilfen von bisher 1.700 Euro sind nach weniger als einem halben Jahr aufgebraucht. Frau S.‘ frei verfügbares Einkommen sinkt weiter. Ihre Armutssituation hat sich in der Krise weiter verschlechtert.
„Jetzt ist die Zeit für ein armutsfestes Sozialnetz“
„Armut darf in Österreich keine Zukunft haben“, um dieses Ziel zu erreichen, fordern Landau und Parr drei wesentliche Reformen: Erstens die grundlegende Reform der Sozialhilfe als letztes Auffangnetz für alle Menschen in Österreich. Zweitens die noch deutlichere Anhebung der Mindestpensionen über die Armutsgefährdungsschwelle – Indexierungen und Einmalzahlungen, die im Ergebnis noch immer unter der Armutsgefährdungsschwelle zu liegen kommen, sind nicht der Schlüssel gegen Armut. Drittens eine schnelle Reform und Erhöhung des Arbeitslosengeldes mit höheren Nettoersatzraten und der Notstandshilfe. Auch hier ist es das Gebot der Stunde, diese Leistungen nun anzuheben, die Reform nicht zu verschieben und sie dürfen im Ergebnis die Höhe der Armutsgefährdungsschwelle nicht unterschreiten.
„Einen Schutzschirm braucht es aktuell aber noch für weitere Zielgruppen, nämlich für die 1,4 Millionen Haushalte aus dem untersten Einkommensdrittel, die akut Gefahr laufen, sich zu verschulden oder in Armut abzurutschen. Diese Menschen brauchen Hilfe, damit sie über den Winter kommen. Neben dem Stromrechnungsdeckel braucht es für alle Armutsbetroffenen jetzt schnell auch eine Lösung beim Heizen“, fordert Parr und appelliert dahingehend an die Bundespolitik, endlich eine solide Datenbasis zu schaffen, mit der Hilfen zielgerichtet und treffsicher ausgestaltet und ausbezahlt werden können. Denn diese Datenbasis fehlt. „Uns muss aber klar sein: Wer gezielt hilft, hilft länger.“
Ausbau der Caritas-Beratungsstellen online und in den Regionen
Die Caritas hat heuer ihre Sozialberatungsstellen in ganz Österreich von 56 auf 71 erhöht, um Klient*innen möglichst regional konkrete Unterstützung anzubieten. Zudem werden Betroffene erstmals auch online beraten – und damit besonders schnell, einfach und auch anonym. Seit der österreichweiten Ausrollung des Online-Dienstes im Frühjahr 2022 konnten schon 3.300 Menschen auf diese Weise unterstützt werden. Zusätzlich zu den 68.000 Personen, die 2021 in den Sozialberatungsstellen direkt oder indirekt Hilfe gefunden haben.
Aktuell kommen Klient*innen zum größten Teil aufgrund der steigenden Preise, sie kämpfen mit Lebensmittelarmut, Energiekostenrückständen und Wohnkostenrückständen. 85% der Klient*innen waren schon vor der Teuerungswelle armutsgefährdet. Durchschnittlich leben sie nach Abzug der Wohn-, Heiz- und Stromkosten von 9 Euro pro Tag und pro Person.
„Dringend Ressourcen in der Begleitung der Menschen nötig“
Die Direktorin der Caritas Steiermark, Nora Tödtling-Musenbichler, lenkt den Blick auf eine weitere Dimension: „Die soziale Seite von Armutsgefährdung ist nicht zu unterschätzen. Die Erfahrung in den Beratungsstellen zeigt, dass Armut und Geldsorgen auch die soziale und gesundheitliche Situation der Menschen beeinflusst. Deshalb ist die verlässliche Begleitung auch so wichtig, um den Menschen Halt zu geben und sie selbst zu befähigen. Manche sind ohne Unterstützung nicht in der Lage, ihre ohnehin schwierige Lage zu meistern. Wir brauchen da neue Formen der Begleitung und vor allem Ressourcen, zum Beispiel in der Energieberatung,“ betont Tödtling-Musenbichler. „Ein wichtiges Ziel unserer Beratungen ist, jeweils die Wohnsituation abzusichern. Gerade Wohnen ist ein zentrales Thema für das Sicherheitsgefühl. Wer keine Wohnadresse hat, verliert auch den Anspruch auf manche Leistungen,“ hält die steirische Caritasdirektorin fest: „Hilfe hört nicht an der Tür der Beratungsstelle auf, sondern fängt manchmal erst an der Wohnungstür der Klient*innen an, damit sie langfristig ihren Wohnraum erhalten können.“
Herzlichen Dank der Erste Bank und Sparkasse für die Unterstützung der diesjährigen Kampagne.