Vor dem Gesetz und dem Fiskus sind alle Bürgerinnen und Bürger gleich. Doch was Steuerzahler/innen für ihr Geld an öffentlichen Dienstleistungen vom österreichischen Staat geboten wird, unterscheidet sich je nach Wohnort bisweilen beträchtlich – beispielsweise im Bereich der Elementarpädagogik. „Auftrag Bildung. Trägerinitiative Kinderbetreuung“, eine kürzlich von gemeinnützigen Trägern privater Kinderbetreuung gegründete Plattform, kritisiert diese Ungleichbehandlung.
Die Trägerinitiative fordert klare Qualitätsstandards sowie verbindliche pädagogische Zielvorgaben für die rund 354.022 Kinder, die aktuell hierzulande eine Krippe, einen Kindergarten oder eine altersgemischte Gruppe besuchen. „Im ersten Halbjahr 2017 wird die Bundesregierung über die Umsetzung der Aufgabenorientierung im Finanzausgleich im Bereich der Elementarpädagogik entscheiden. Davor muss erst einmal klar sein, welche Rahmenbedingungen wir uns als Gesellschaft für das Heranwachsen unserer Kinder vorstellen“, fordert Elmar Walter, Geschäftsführer der St. Nikolausstiftung, seitens der Initiative, welcher Kinderfreunde, Hilfswerk, Volkshilfe, Caritas und St. Nikolaus-Stiftung angehören. Und weiter: „Es ist nicht einzusehen, wieso beispielsweise der Bedarf an Raum und Ausstattung oder der Betreuungsschlüssel von der Region abhängig sein soll, in der ein Kind lebt.“
Qualität: Einheitliche Standards definieren!
„Wer meint, unsere Kinder kommen beispielsweise analog zu Arbeitnehmer/innen in den Genuss einheitlicher, gesetzlich verankerter Qualitätskriterien, irrt. Während für Arbeitnehmer/innen sowohl die Mindestbodenfläche als auch der Luftraum pro Person bundesweit klar geregelt sind, scheinen die Bedürfnisse unseres Nachwuchses zumindest im Kleinkindalter so unterschiedlich, dass es allein neun Vorgaben hinsichtlich des Raumbedarfs braucht“, stellt Elisabeth Anselm, Geschäftsführerin des Hilfswerk Österreich, fest. Welche Kriterien entscheiden nun aber tatsächlich über die Qualität frühkindlicher Bildung und Betreuung? Die Mitglieder der Trägerinitiative haben vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in der Praxis und mit Blick auf die österreichweite Situation dazu klare Vorstellungen:
- Fläche pro Kind: Räume sind Mit-Erzieher, weil sie den Rahmen für das Aufwachsen bilden. Zu kleine Räume beeinträchtigen die kindliche Interaktion und erhöhen im schlimmsten Fall das Aggressionslevel in den Gruppen. Richtig dimensionierte Räume hingegen verbessern die pädagogische Prozessqualität und zeigen unter anderem positive Auswirkungen auf die kindliche Sozialkompetenz sowie das Erlernen von Alltagsfertigkeiten. Experten empfehlen mindestens sechs Quadratmeter pro Kind für Innenräume und zwischen sechs und zwölf Quadratmetern für das Außengelände.
- Betreuungsschlüssel: Entscheidend für die Qualität der Kinderbetreuung ist vor allem die Größe der Gruppe bzw. die Betreuungsdichte. Die Trägerinitiative regt daher einen bundesweit gültigen Betreuungsindex an. Die eigenen Erfahrungswerte und Richtlinien aus Wissenschaft und Forschung zeigen: Gruppen in Kinderkrippen der 0-3 Jährigen sollten idealer Weise mit maximal zehn Kindern begrenzt und in Abhängigkeit der Altersverteilung auf einen Betreuer-Kind-Schlüssel von 1:3 bis maximal 1:5 festgelegt werden. Für Kindergartengruppen skizziert die Trägerinitiative maximale Gruppengrößen von 20 Kindern (2,5 bis 6 Jährige) und je nach Altersverteilung einen Betreuungsschlüssel von 1:5 bis maximal 1:7. Bei einem hohen Anteil an Kindern mit nicht-deutscher Muttersprache ist auch eine individuelle Anpassung des Betreuungsschlüssels an die Gruppenzusammensetzung notwendig.
- Qualifikation des Personals: Wesentlich erscheint eine bundesweit grundlegende Rahmenorientierung und -struktur in Richtung modularer Ausbildung für alle pädagogischen Berufsbilder mit Verbreiterungs-und Vertiefungsmöglichkeiten. Damit könnte die nötige Aufwertung und folglich Attraktivierung des Berufsbereiches forciert werden. Die wäre dringend nötig, um künftig auch über ausreichend Personal zur Erreichung der als notwendig erachteten Bildungsziele zu verfügen.
- Öffnungszeiten: „Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eines der zentralen Kriterien auf dem Weg zu einer Kinderbetreuung, die den Qualitätsansprüchen einer modernen Gesellschaft entspricht. Nicht nur die Entwicklung zur Erwerbstätigkeit beider Elternteile sind die Herausforderungen, vor denen Familien stehen, sondern auch jene Berufe, die eine hohe Flexibilität fordern, wie etwa im Handel, Gesundheitsberufe, Polizei u.ä.“, erläutert Barbara Tschofenig, Leiterin Fachstelle Kinderbetreuung der Volkshilfe Steiermark. Erweiterte Tagesöffnungszeiten mit flexiblen Rändern und geringere Schließzeiten – etwa in den Ferien – sind wichtig für Eltern, um ein, dem Bedarf der Familie flexibel angepasstes und für das Kind geeignete Betreuungsarrangement gestalten zu können.
- Wahlmöglichkeit: Die Bedürfnisse unserer Kinder müssen bei der Wahl der Betreuungsart im Vordergrund stehen. Nicht immer eignet sich beispielsweise institutionelle Gruppenbetreuung – etwa, weil das Kind sich erst daran herantasten muss, oder weil atypische Arbeitszeiten der Eltern vorliegen. Tagesmütter/-väter stellen hier einen wertvollen Teil des Angebots dar, das im Sinne einer individuellen Lösung für Kinder bzw. Familien selbstverständlicher und gleichberechtigter Teil des Fördersystems sein soll. Aber auch Angebote mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung helfen, individuelle Entfaltungsmöglichkeiten und bestmögliche Bildungschancen zu realisieren.
Budget: Keine ungerechte Pro-Kopf-Förderung!
Dass sich frühkindliche außerfamiliale Betreuung, Bildung und Erziehung sowohl kurzfristig als auch langfristig positiv auf die Entwicklung eines Kindes auswirken, haben Studien wiederholt gezeigt. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist allerdings deren Qualität. „Selbst volkswirtschaftlich lassen sich die Effekte eines hochwertigen Angebots nachweisen. Jeder in frühkindliche Betreuung, Bildung und Erziehung investierte Euro geht beinahe 10-fach in Form von höheren Beschäftigungseffekten oder Kosteneinsparungen bei Sozialtransfers an die Gesellschaft zurück“, untermauert Edith Bürgler-Scheubmayr, Geschäftsführerin Caritas für Kinder und Jugendliche, Oberösterreich die Umwegrentabilität eines gelebten Qualitätsdenkens.
Die Verhandlungen zur Aufgabenorientierung im Zuge des Finanzausgleichs sollte daher zum Anlass genommen werden, darüber nachzudenken, wie diese Qualitätsziele für jedes Kind in Österreich sichergestellt werden können. Egal ob Land oder Stadt, der Wohnort darf nicht mehr über die Zukunftschancen unserer Kinder entscheiden. „Wir sehen die angedachte Pro-Kopf-Förderung kritisch, da alleine schon die grundsätzliche Bereitstellung eines Betreuungsangebotes Infrastruktur- sowie Grundkosten nach sich zieht. Unser Modell sieht daher eine Mischfinanzierung vor, die zusätzlich zu einer Sockelfinanzierung pro Gruppe den Mehraufwand für die Umsetzung der Qualitätserfordernisse vorsieht. Es kann nicht sein, dass wir Gemeinden und Städte finanziell bestrafen, die sich trotz speziell schwieriger regionaler oder situativer Bedingungen für bestmögliche Bildungschancen für unsere Kinder engagieren – also beispielsweise in kleinen Gemeinden oder an spezifischen Standorten in Ballungsräumen – man denke etwa an die Herausforderungen der Integration. Das können wir uns als Gesellschaft bzw. Staat garantiert nicht leisten“, betont Daniel Bohmann, Bundesgeschäftsführer der Österreichischen Kinderfreunde abschließend.