Pflege und Betreuung

Pflege im Regierungsprogramm:

Viel Aktion, wenig Struktur

Österreich steht vor großen Herausforderungen bei Pflege und Betreuung. Der massive Personalmangel, die Überlastung pflegender Angehöriger und die demografische Entwicklung werden thematisiert, es finden sich einige gute Ansätze wie eine Fachkräfteoffensive und die Stärkung der Ausbildung. Dennoch bleibt das Programm weitgehend vage und unverbindlich und wird den anstehenden Herausforderungen nicht gerecht.

Die langfristige Finanzierung ist nicht gesichert. Um aktuellen und zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können, benötigt es Innovation und Investition – gleichzeitig sind Einsparungen im Gespräch. Ohne Investitionen droht eine weitere Verschärfung der Versorgungslage. Klar muss sein, fehlende Investitionen im Pflege- und Betreuungssystem führen zu Mehrkosten in der Zukunft. Zudem zeigt sich ein Ungleichgewicht zwischen Gesundheitsbereich und Langzeitpflege. Die Chance, Langzeitpflege strukturell zu stärken – etwa durch ein Staatssekretariat, das für Gesundheit UND Pflege zuständig ist – wurde nicht genutzt.

Übersicht:

Personal

Ohne ausreichend qualifiziertes Personal geraten Pflege und Betreuung unter Druck. Kann die Regierung die Trendwende schaffen?

Regierungsprogramm
  • In Aus- und Weiterbildung sind zahlreiche Maßnahmen geplant: Pflege- und Fachkräftestipendien erhalten Vorrang. Die Durchlässigkeit zwischen Gesundheitsberufen soll verbessert und gezielte Höherqualifizierung erleichtert werden.     
  • Eine Studie zu den Ursachen von Ausbildungsabbrüchen und Berufsausstiegen bietet eine Grundlage, um Aussteiger*innen durch attraktive Angebote zurück in den Beruf zu holen.
  • Um internationale Fachkräfte nach Österreich zu holen, sollen sie gezielter als bisher angeworben werden, etwa über eine Anlaufstelle für Pflegekräfte. Die Abwicklung über die Rot-Weiß-Rot-Card soll schneller und einfacher werden. Zudem soll die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse über eine Kompetenzstelle beschleunigt werden.
  • Besonderer Fokus liegt auf der Verbesserung der Arbeitsbedingungen für alle Berufsgruppen in der Langzeitpflege: Das betrifft planbare Arbeits- und Freizeit oder mehr Freiraum für Kernaufgaben, aber auch Entbürokratisierung oder die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Gesundheits- und Sozialberufe.
  • Pflegeberufe sollen auch in die Pensionsregelung für Schwerarbeiter*innen aufgenommen werden.
Unsere Position

Die Sicherung des Pflegestipendiums – auch in Zeiten knapper Budgets – ist ein positives Signal. Das gilt auch für die angestrebte Durchlässigkeit und Qualifizierung, auch wenn diese im Programm wenig konkret bleiben.

Die geplante Rückholaktion für ausgestiegene Pflegepersonen klingt vielversprechend, doch was unter „attraktiven Angeboten“ zu verstehen ist, bleibt offen.

Auch die Maßnahmen zur internationalen Personalgewinnung gehen in die richtige Richtung. Wichtig sind jedoch eine bedarfsgerechte Umsetzung einer Gesamtstrategie und die Verbesserung der Nostrifikation, etwa über digitale Möglichkeiten.

Ob die Arbeitsbedingungen in der Langzeitpflege tatsächlich verbessert werden, bleibt fraglich. Einzelmaßnahmen reichen kaum aus, um mehr Planbarkeit oder echten Freiraum für Kernaufgaben zu schaffen.

Die geplante Aufnahme in die Schwerarbeitsregelung ist ebenso wie eine Angleichung der Gehälter zu begrüßen – entscheidend wird jedoch die konkrete Umsetzung sein.

Was es (mehr) braucht

Aus der Analyse der Ausbildungsabbrüche müssen konkrete Maßnahmen folgen, etwa zur besseren Auslastung von Ausbildungsjahrgängen und zur Senkung der Drop-out-Quote.

Die internationale Fachkräftegewinnung sollte Teil einer bundesweiten Gesamtstrategie sein.

Zusätzlich zur Schwerarbeitsregelung braucht es neue Arbeitszeitmodelle und Einsatzformen speziell für ältere Pflegekräfte.

Gesundheit und Pflege gemeinsam denken

Viele gute Konzepte scheitern an schlecht gemanagten Schnittstellen. Bietet das Regierungsprogramm mehr als bloße Überschriften?

Regierungsprogramm

Die seit Jahren problematische Schnittstelle zwischen dem Gesundheitsbereich und der Langzeitpflege soll verbessert werden; der Fokus liegt auf dem Entlassungsmanagement.

Unsere Position

Die Verbesserung der Schnittstelle Gesundheit/Langzeitpflege hat enormes Potenzial, das seit Jahren nicht gehoben wird. Aber: Konkrete Maßnahmen fehlen auch im Regierungsprogramm.

Was es (mehr) braucht

Gutes Schnittstellenmanagement bedeutet, dass die einzelnen Systeme aufeinander abgestimmt sind und Leistungen dort stattfinden, wo sich die Menschen befinden. Dafür braucht es eine Weiterentwicklung der Finanzierung nach dem Prinzip: „Geld folgt der Leistung“.

Was ebenfalls fehlt, ist ein klares Bekenntnis zu einer stufenweisen, integrierten Versorgung – also ein Plan, was folgt, wenn die aktuelle Stufe der Pflege oder Gesundheitsversorgung nicht mehr ausreicht. Dazu bedarf es dem Ausbau von Schnittstellen-Strukturen, wie Case-Management und Übergangspflege.

Informationen müssen an den jeweiligen Stellen im Gesundheits- und Pflegebereich verfügbar sein – das bedeutet: möglichst schneller Ausbau von ELGA und eine Einbindung aller Gesundheits- und Pflegediensteanbieter (siehe Punkt Digitalisierung).

Versorgungssicherheit

Lücken schließen, neue Initiativen starten und bestehende verbessern - kann die Regierung neue Akzente setzen?

Regierungsprogramm

Die Regierung plant den Ausbau der Versorgung an mehreren Bereichen:

  • Gemeinschaftspraxen für nicht-ärztliche Gesundheitsberufe sollen ermöglicht, die Hospiz- und Palliativversorgung erweitert sowie post-stationäre Betreuungsplätze geschaffen werden. Auch Versorgungszentren und -netzwerke für chronische Erkrankungen wie Diabetes sollen entstehen – unter anderem durch den Ausbau von Kurzzeit- und Übergangspflege.
  • One-Stop-Shops sollen die unterschiedliche Systeme der Pflegeservicestellen vereinheitlichen und einheitlichen Qualitätskriterien folgen.
  • Eine bundesweite Pflege- und Betreuungsstrategie soll erarbeitet werden. Dazu zählen die Einführung einheitlicher Pflegekriterien, die Definition des Berufsbilds der Community Nurses, sowie strengere Kontrollen von Qualitätsstandards in der stationären Langzeitpflege.
    Die Vergabe öffentlicher Gelder soll an diese Standards gekoppelt werden.
  • Pflegefonds und Pflegegeld werden evaluiert, insbesondere bei der Verwendung der eingesetzten (Finanz-)Mittel – im nächsten Schritt findet eine Weiterentwicklung statt.
  • Der Bereich Rehabilitation und Kuren soll evaluiert und weiterentwickelt werden. Präventionsleistungen und Gesundheitskompetenz sollen in allen Lebensphasen deutlich ausgebaut werden – mit klar geregelten Zuständigkeiten und Finanzierungsverantwortlichkeiten.
    Weitere Maßnahmen umfassen Frühversorgungs- und Früherkennungsprogramme, Impfangebote und eine aktualisierte Demenzstrategie.
Unsere Position

Die rechtliche Ermöglichung nicht-ärztlicher Gemeinschaftspraxen ist ein großer Fortschritt wie auch der weitere Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung. Wie auch bei der Schaffung post-stationärer Betreuungsplätze ist deren Finanzierung ungeklärt, fehlen notwendige Informationen im Programm. Der Ausbau von Versorgungszentren – und vor allem -netzwerken – ist sinnvoll, da chronisch kranke Menschen zumeist nicht adäquat versorgt werden.

Die Zusammenführung unterschiedlicher Service- und Beratungsstellen zu One-Stop-Shops ist notwendig. Wie dieser Prozess umgesetzt werden soll, bleibt offen.

Eine bundesweite Pflege- und Betreuungsstrategie ist ein wesentlicher Baustein im Kampf gegen den Fleckerlteppich. Die konkrete Umsetzung einheitlicher Qualitätskriterien ist noch offen. Die Regelung von Berufsbild, Zuständigkeit, Aufgabenbereich und Ausbildung der Community Nurses kann die Gesundheitsversorgung besser vernetzen.

Die Evaluierung von Pflegefonds und Pflegegeld ist sinnvoll, besondere bezogen auf den Mitteleinsatz im Pflegefonds. Über diesen könnte der Pflegebereich bundesweit gesteuert werden. Das Pflegegeld muss künftig Themenbereiche wie Prävention, Ressourcen und soziale Teilhabe umfassen.

Die Reformierung des Rehabilitations- und Kursystems ist wichtig, bilden beide einen wesentlichen Anteil der Sekundär- und Tertiärprävention. Gleiches gilt für die Forcierung der Gesundheitskompetenz, jedoch fehlen zu diesem Punkt Details.

Was es (mehr) braucht
  • Versorgungsnetzwerke müssen mobil, systemisch integriert und bedarfsgerecht strukturiert sein. Aufsuchende Netzwerke – also interdisziplinäre Teams, die Patient*innen aktiv und wohnortnah betreuen – etwa bei Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen – könnten die Versorgung deutlich verbessern.
  • Das Pflegegeld sollte ressourcen- und präventionsorientiert weiterentwickelt werden, um auch als Planungsinstrument in der bundesweiten Versorgungsstrategie genutzt zu werden.
  • Die Finanzierung teilstationärer Angebote – etwa Kurzzeit- und Übergangspflege – muss dringend geklärt werden. Derzeit sind sie für viele Familien kaum leistbar.
  • Für eine wirksame Prävention braucht es konkrete, abgestimmte Maßnahmen statt nur wohlklingender Schlagworte. Ein sinnvolles Gesamtkonzept ist unerlässlich.

Daheim vor stationär

Ohne echte Entlastung der pflegenden Angehörigen bleibt der Grundsatz „Daheim vor stationär“ ein Lippenbekenntnis. Folgen auf die Ankündigungen auch konkrete Schritte?

Regierungsprogramm
  • Im Regierungsprogramm finden sich einige Maßnahmen zur Entlastung pflegender Angehöriger. Dazu zählen der Ausbau mobiler und teilstationärer Pflege und Tagesbetreuung.
    Das Pflegegeld soll evaluiert und in Richtung ambulanter Pflege weiterentwickelt werden.
  • In diesem Zusammenhang soll die Pflegedokumentation an die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) angebunden werden. Pflege-Apps sollen entwickelt oder eingebunden werden.
  • Die 24-Stunden-Betreuung soll ausgebaut und qualitativ verbessert werden. Einheitliche, verbindliche Qualitätskriterien für Agenturen – inklusive Vermittlung von Deutschkenntnissen – sind vorgesehen. Darüber hinaus werden Anpassungen bei den Rahmenbedingungen geprüft, etwa durch Tätigkeitsmöglichkeiten für selbstständige Betreuungskräfte aus Drittstaaten oder eine Anhebung der Einkommensgrenzen für Förderungen.
Unsere Position

Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige müssen flächendeckend, flexibel und zunehmend auch aufsuchend sein.
Die Ankündigungen im Regierungsprogramm bleiben jedoch vage und lassen viel Spielraum für eine unzureichende Umsetzung.

Die geplante Anbindung der Langzeitpflege an ELGA ist zu begrüßen – sie ist durch das Gesundheitstelematikgesetz (GTelG) 2024 bereits verpflichtend.
Notwendig wäre nun eine Anschubfinanzierung, damit Pflege- und Betreuungsorganisationen den digitalen Anschluss schaffen – wie sie auch für Apotheken und Ärzt*innen vorgesehen war.

Auch die Vorhaben im Bereich der 24-Stunden-Betreuung gehen in die richtige Richtung. Viele Details bleiben aber unklar, was die Gefahr einer mangelhaften Umsetzung erhöht. Immerhin greift das Programm zentrale und langjährige Forderungen der Caritas auf – etwa die Anhebung der Einkommensgrenzen bei Förderungen.

Was es (mehr) braucht
  • Die Unterstützung pflegender Angehöriger bleibt hinter dem tatsächlichen Bedarf zurück. Tageszentren müssen ausgebaut und alternative Betreuungsformen finanziell gestützt werden. Zusätzlich braucht es Angebote für die Nacht – idealerweise in enger Abstimmung mit der Kurzzeitpflege.
  • Bürokratische Hürden im Pflegebereich müssen abgebaut werden.
    Ob die im Kapitel „Versorgungssicherheit“ genannten One-Stop-Shops hier beitragen können, ist bislang unklar.
  • Im Bereich der 24-Stunden-Betreuung fehlen Mittel für eine jährlich valorisierte Erhöhung der Förderung sowie für regelmäßige Qualitätsvisiten durch qualifiziertes Pflegepersonal.

Digitalisierung

Die Digitalisierung im Bereich von Pflege und Betreuung bietet viele Chancen. Werden sie im Sinne aller Beteiligten genutzt?

Regierungsprogramm
  • Die Elektronische Gesundheitsakte (ELGA) soll ausgebaut und modernisiert werden – zu einer zentralen Datenplattform für Patient*innen und Gesundheitsdienstleister.
    Letztere sollen künftig über die e-Card in das System integriert werden.
  • Dokumentationspflichten sollen vereinfacht werden, damit digitale Anwendungen schneller wirksam werden können.
  • Das Gesundheitsberuferegister soll erweitert und an die Sozialversicherung angebunden werden. Ziel ist eine bessere Nutzbarkeit der Daten.
  • Es soll keine rein digitalen („online-only“) Leistungen geben: Persönliche, schriftliche oder telefonische Kommunikation mit Behörden und Daseinsvorsorge soll verpflichtend möglich bleiben.
Unsere Position

Der Ausbau und die Modernisierung der ELGA können zu echten Verbesserungen im Pflege- und Betreuungsbereich führen.
Zugleich muss die Integration weiterer Gesundheitsdienstleister – außerhalb von Apotheken und ärztlichen Praxen – sinnvoll realisiert werden, um wirkliche Entlastung anstatt zusätzlicher Irritation der Praxis zu bewirken.

Die geplante Erweiterung des Gesundheitsberuferegisters ist zu begrüßen, insbesondere, wenn sie auch die verpflichtende Eintragung der Kompetenzen von Sozialbetreuungsberufen umfasst. Die bessere Nutzung dieser Daten in Verbindung mit den Sozialversicherungen kann helfen, Karriereverläufe und Personalbewegungen sichtbar zu machen – und daraus gezielt wirksame Maßnahmen abzuleiten.

Der Grundsatz, keine „online-only“-Lösungen vorzusehen, ist zentral – gerade für Menschen mit geringer digitaler Kompetenz muss es analoge Alternativen geben.

Was es (mehr) braucht

Neben den geplanten Maßnahmen braucht es einen eigenständigen Digitalisierungsfonds. Damit lassen sich technologische Rückstände aufholen sowie zukunftsorientierte Strukturen und Prozesse schaffen – nicht nur, aber auch im Pflege- und Betreuungsbereich.

 

 

Weitere Infos

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