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Weltflüchtlingstag: Reformbedarf beim Umgang mit geflüchteten Menschen in Österreich und Europa

So viele Menschen wie noch nie sind derzeit auf der Flucht: 108 Millionen Menschen. 108 Millionen Menschen, die durch Krieg, Verfolgung, Gewalt, Menschenrechtsverletzungen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Unter ihnen auch Millionen von Kindern.
„Während 108 Millionen Menschen vor dem Nichts stehen, ganze Generationen unter schwierigsten Bedingungen leben und aufwachsen müssen, hat die internationale Staatengemeinschaft immer noch keinen Weg gefunden, den Flüchtlingsschutz umfassend und unabdingbar anzuerkennen und umzusetzen“, stellt Caritas-Präsident Michael Landau fest.

Besonders dramatisch hat sich diese Unzulänglichkeit in den letzten Tagen gezeigt. Während die EU-Mitgliedstaaten die Verschärfung der Asylregeln zur Eindämmung irregulärer Migration diskutiert haben, starben bei einem Bootsunglück vor der griechischen Küste hunderte Menschen, ganz überwiegend Kinder und Frauen, auf der Suche nach Schutz. Sie gehören damit zu mindestens 20.000 auf ihrer Flucht im Mittelmeer Getöteten seit dem Jahr 2014. „Das Sterben im Mittelmeer muss ein Ende haben. Und das heißt auch: Europa muss über so etwas wie eine gemeinsame europäische Such- und Rettungsmission auf dem Mittelmeer reden“, so Landau. „Letztlich muss beides möglich sein, Menschen und Grenzen zu schützen.“

Verschärfte EU-Asylregeln lassen menschenrechtliche Garantien außer Acht
Die Caritas befürwortet, dass sich die EU-Mitgliedstaaten um eine gemeinsame Vorgangsweise in Asylfragen bemühen. Dass die beim EU-Gipfel diskutierten Maßnahmen zu einem EU-weit einheitlichen Vorgehen in Asylfragen derartig tragische Unglücke künftig verhindern können, bezweifelt die Caritas aber. Stattdessen werden gravierende Einschränkungen des Asylrechts und humanitäre Notlagen, wie sie bereits jetzt in den Hotspots an den EU-Außengrenzen zu sehen sind, befürchtet. Das Fazit nach dem letztwöchigen Gipfel ist klar: Die vorliegenden Vorschläge, die nun mit dem EU-Parlament weiterverhandelt werden, lassen wichtige menschenrechtliche Garantien und humanitäre Erwägungen außer Acht.

„Die aktuell diskutierten Maßnahmen sollen gegen Schlepper wirken. Sie richten sich aber vielmehr gegen jene Menschen, die Schutz suchen. Hier braucht es ein Umdenken! Wer Schleppern das Handwerk legen möchte, muss bei den Fluchtursachen beginnen und für sichere, legale Fluchtwege und faire, qualitätsvolle Verfahren sorgen. Menschenrechtliche und humanitäre Standards müssen in der EU Vorrang haben“, so Landau.

Appell für Reformen des Asylwesens in Österreich
Auch beim Umgang mit Geflüchteten in Österreich zeigen sich nach wie vor Mängel, etwa bei den Herausforderungen für die Vertriebenen aus der Ukraine, beim System Grundversorgung ganz allgemein, oder auch bei der Integration in den Arbeitsmarkt.

„Nehmen wir die Verantwortung für einen menschlichen Umgang mit geflüchteten Menschen sowohl in Österreich, aber auch auf EU-Ebene endlich an und ermöglichen so Chancen und Perspektiven auf beiden Seiten“, appelliert Landau.

Dazu zeigt die Caritas drei aktuelle Problemfelder:

  1. Forderung nach Reform der Grundversorgung
    Geflüchtete Menschen verdienen eine adäquate und menschenwürdige Versorgung, Beratung und Betreuung im Rahmen der Grundversorgung. Landau: „Hier braucht es eine Reform der Grundversorgung – neben ausreichender Finanzierung und genügenden Kapazitäten sollte im Zentrum die Heranführung an ein selbstbestimmtes Leben für die Betroffenen stehen. Denn solange sich Menschen um ihre Existenz sorgen, ist an Integration und Zukunftsperspektiven gar nicht zu denken.“
     
  2. Perspektive für Vertriebene aus der Ukraine
    Besonders die Situation für die ca 50.700 Vertriebenen aus der Ukraine, die aktuell in Österreich leben und im System der Grundversorgung festsitzen, spitzt sich zu – ihre Armutsgefährdung ist virulent, eine Perspektive für sie fehlt – zumal auch ihr anerkannter Status mit März 2024 EU-weit ausläuft. Diese zusätzliche Unsicherheit hemmt die gesamte Integration, auch was Spracherwerb, Jobsuche oder Nostrifizierungsprozess anbelangt.
    Landau plädiert daher für eine Verlängerung des EU-weiten Aufenthaltsstatus für Vertriebene aus der Ukraine und entsprechende Vorbereitungen Österreichs hierauf, gleichzeitig für eine Überführung von der Grundversorgung in die Sozialhilfe mit einer entsprechenden Anbindung an das AMS. „Noch gibt es keine Perspektive auf ein Kriegsende und eine baldige Rückkehr in die Ukraine. Daher ist es höchst an der Zeit, den Vertriebenen in Österreich, oftmals Frauen und Kinder, ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Ukrainer*innen dürfen nicht länger in der Grundversorgung verwahrt werden, stattdessen braucht es eine Anbindung an die Sozialhilfe und die Schaffung von Perspektiven, sodass Menschen nach Möglichkeit auf eigenen Beinen stehen können.“
     
  3. Umdenken bei Integration in den Arbeitsmarkt
    In Österreich stehen wir vor einem akuten Arbeitskräftemangel, der nicht mehr nur Fachkräfte, etwa in der Pflege, umfasst. Hier braucht es ein Umdenken! Dies würde auch das Asylsystem entlasten, denn Menschen, die in ihrer Heimat keine Zukunft mehr sehen, hätten die Chance, zum Zweck der bei uns dringend gebrauchten Arbeitsleistung zu migrieren. „Warum hier keine Win-Win-Situation ermöglichen?“, fragt Landau. „Hier sollten wir, ohne den Unterschied von Asyl und Migration zu verkennen, zu einem offenen und lösungsorientierten Gespräch in Österreich und Europa gelangen.“